Betriebsblindheit (3): Betriebsblindheit ist „menschlich“

Sich als Projektleiter*in eines Veränderungsprojektes darüber zu ärgern, dass Mitarbeitende nicht auf die positiven Aspekte der Veränderung schauen, sondern immer erst einmal abwartend oder gar abwehrend reagieren wäre falsch, denn so ist nun einmal die menschliche Natur.

Ein berühmtes Beispiel für Betriebsblindheit waren die Ingenieurinnen und Ingenieure um den Entrepreneur Henry Ford. Sie stellten die These auf, dass es unmöglich sei, einen Sechszylindermotor zu bauen. Henry Ford konterte mit den Worten: „Besorgt mir Leute, die noch nicht gelernt haben, was nicht geht!“ 

Bei vielen von uns lösen Veränderungen Stressreaktionen aus. Jede Veränderung wird von uns Menschen erst einmal auf ihre Bedrohlichkeit hin untersucht. Jetzt heißt es sich zu entscheiden zwischen den Ur-Reaktionen 'Fight' (Kampf) oder 'Flight' (Flucht).  

Das Fight-or-Flight-Syndrom kennt jeder, der schon einmal Herzklopfen oder Lampenfieber, Wut und Zorn fühlte. Die Ausschüttung der Hormone des Nebennierenmarks erfolgt bei uns nicht nur im unmittelbaren Zusammenhang mit körperlicher oder seelischer Not, sondern auch als Vorbereitung auf ein zu erwartendes Ereignis oder eben eine Veränderung. Der Körper wird auch dann aufgeputscht, wenn eine psychische Belastung folgt. 

 

Gewohnheit verhindert Innovation

"Veränderung ist das Gesetz des Lebens. Diejenigen, die nur auf die Vergangenheit oder die Gegenwart blicken, werden die Zukunft verpassen" (John F. Kennedy)

In einem Workshop zum Thema Veränderung schnappte ich einmal den folgenden Satz auf, welcher mich noch länger beschäftigten sollte: „Wir müssen uns verhalten wie ein Start-up-Unternehmen, wenn wir etwas verändern wollen. Die machen einfach und überlegen nicht jahrelang was könnte passieren.“ 

So sicher wie uns die Gewohnheiten scheinbar durch unseren Alltag leiten, so sicher stehen sie uns auch im Weg, wenn es Zeit wäre etwas zu verändern. Die US-Psychologin Dawna Markova hat herausgefunden, dass Menschen rund zwei Wochen brauchen, um sich allein an eine neue Haltung zu gewöhnen.  

Ein kleiner Test zeigt schnell, wie veränderungsresistent wir Menschen sind. Falten Sie bitte jetzt Ihre Hände ineinander, so als wollten Sie beten. Nun wechseln Sie bitte die Position Ihrer Daumen, sodass der Untere zuoberst liegt. Wie fühlt sich das an: Ungewohnt? Unangenehm? 

Diesen Sicherungsmechanismus muss man als Projektleiter*in eines Veränderungsprojektes kennen, um mittels intelligentem Veränderungsmanagement die Gewohnheiten zu lösen. 

Sie werden durch die neue Position des Daumens weder einen Nachteil noch einen Vorteil haben, aber weil Ihre gewohnte Position nicht vorliegt, signalisiert Ihnen Ihr Gehirn zwei Wochen lang: Alarm, hier stimmt etwas nicht!  

Im Zusammenhang mit der Theorie der US-Psychologin Dawna Markova fällt mir noch eine Aussage eines Kunden ein: „Bei uns fangen regelmäßig neue junge Mitarbeitende im Unternehmen an, die es aus dem privaten Alltag oder aus der schulischen Ausbildung gewohnt sind, mit modernen Arbeitsmitteln und Arbeitsmethoden umzugehen. Doch dann passiert immer das Gleiche! Nach einer Weile scheint es als hätten die neuen Kolleg*innen alles vergessen und unsere veralteten Arbeitsmittel und Arbeitsmethoden akzeptiert.“ 

Die Frage ist: dauert es in etwa zwei Wochen, bis die neuen Mitarbeitenden die veralteten Arbeitsmittel und Arbeitsmethoden akzeptieren? 

Neue Kolleg*innen mit modernen Arbeitsmethoden werden „formatiert“, Mitarbeitende mit neuen Ideen werden zurückgewiesen, Anregungen zu Optimierungspotentialen ignoriert. Ruhen erst einmal ganze Abteilungen im Geiste des „das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht“ dann bleibt nicht nur die Innovation und die Kreativität auf der Strecke, es kann dann auch schon mal gefährlich werden!  

Lesen Sie im nächsten Teil der Artikelserie zur Betriebsblindheit, warum der Umgang mit Ängsten bei Veränderungen wichtig ist.