Stolpern, aber nicht fallen! So meistern Sie Ihr digitales Transformationsprojekt

Das Risiko, dass Transformationsprojekte scheitern, ist groß. Doch deswegen den Kopf in den Sand zu stecken und vorsichtshalber gar keine Digitale Transformation zu starten, wäre die völlig falsche Reaktion auf diesen Umstand.

Digitale Transformationsprojekte sichern Unternehmen viele handfeste Vorteile und helfen, die Prozesse effizienter zu gestalten. Unternehmen kommen durch die Digitalisierung in die Position, eine schnellere Prozessabwicklung bei verbessertem Service und gesichertem Wissen für sich selbst zu ermöglichen. Oder anders formuliert: Geld sparen, bei kurzen Antwortzeiten und nachhaltigem Kompetenzaufbau.  

Digitale Transformationsprojekte sind keine klassischen IT-Projekte. Vielmehr geht es dabei primär darum, die Veränderungen in einem Unternehmen mit den richtigen Projektpartner*innen (ob intern oder extern spielt keine Rolle) herbeizuführen. Die Organisation und letztlich die Mitarbeitenden müssen im Vordergrund stehen.

Werfen wir einen kurzen Blick auf ein fiktives Musterprojekt, um das Stolpern in einem Projekt zu demonstrieren: 

Wie alles begann.  

Herr Hans Vorwärts, hochmotivierter Mitarbeiter bei der SEKURA AG, wurde im August 2020 Projektleiter des „DigiFirst 2022“-Projekts. Die SEKURA AG, eines der großen Versicherungsunternehmen, verfolgte mit dem Projekt „DigiFirst 2022“ das Ziel, durch konsequente Multikanal-Kommunikation die digitale Kommunikation mit den Versicherten auszubauen und den Kundenservice zu verbessern. Im Oktober 2022 sollte das System nach einer vierwöchigen Pilotphase in den Betrieb übernommen werden.  

Da Herr Vorwärts neu in die Thematik Multikanal-Kommunikation eingestiegen ist, wurde ein*e externe*r Projektpartner*in gesucht. Weil in der Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit einer Beratungsfirma gemacht wurden, sollte in diesem Projekt die Zusammenarbeit lieber mit einem Systemintegrator erfolgen. Mit der Konzeption und Projektrealisierung wurde somit direkt ein kleineres Softwarehaus beauftragt. Die Versicherung hatte sich für das Softwarehaus entschieden, da dieses bereits Partner eines Lösungsanbieters ist, der das kürzlich eingeführte CRM-System entwickelt hatte.

Die Feinspezifikation wurde von Frau Wohlgemut, einer Mitarbeiterin des Integrators erstellt und nach sechs Wochen im vorgegebenen Zeitplan verabschiedet. Doch schon kurze Zeit später bekam Herr Vorwärts ein schlechtes Gewissen, da nicht alle betroffenen Fachbereiche nach ihren Bedürfnissen befragt wurden. Zudem wurden mit zunehmender Aufmerksamkeit auf das Projekt weitere Anforderungen und Änderungswünsche an ihn herangetragen. In der Entwicklungsphase wurde deren Umsetzung von Frau Wohlgemut nicht entsprechend priorisiert, da der Entwicklungszeitraum ohnedies schon um zwei Monate angewachsen war. Außerdem mussten im aktuellen Sprint weitere Programmierer*innen in das Team integriert werden. Die Anforderungen wurden von Frau Wohlgemut als User Stories ans Ende in den Backlog gelegt. 

Glauben Sie, dass so etwas in der Praxis nicht passiert? Oder kommen Ihnen folgende Aussagen vielleicht doch seltsam vertraut vor?

  • „Ich brauche dringend eine Lösung.“
  • „In drei Monaten muss das System laufen.“
  • „In das Thema Digitalisierung arbeiten Sie sich schon ein.“
  • „Herzlichen Glückwunsch, Sie übernehmen die Projektleitung (oder im agilen Kontext: Product Owner).“ 

Dieses sind keinesfalls Fantasieaussagen, sondern im Laufe langjähriger Projekterfahrung gesammelte Zitate für den „Start“ unterschiedlichster Vorhaben und Projekte. 

Stolpern, ... 

Im September 2021 waren einige Funktionen umgesetzt und Herr Vorwärts nahm einen ersten Integrationstest vor. Das war zunächst sehr schwierig, weil Testdaten und Testwerkzeuge fehlten. Im Test stellte sich dann heraus, dass einzelne Komponenten nicht mit der vorhandenen IT-Infrastruktur funktionierten und nicht alle erhobenen Anforderungen umgesetzt wurden. Dies führte zu ausgedehnten Diskussionen mit Frau Wohlgemut und Herrn Dr. Teuer, der inzwischen als Berater seitens des Softwarehauses hinzugezogen wurde.  

Es mussten weitere Programmänderungen vorgenommen werden, deren Kosten aber niemand tragen wollte. Die Situation wurde auch nicht besser, als Frau Wohlgemut kündigte und ihre Firma verließ. Ein neuer Mitarbeiter konnte aber schnell eingearbeitet werden, auf Kosten der SEKURA, versteht sich. Im Spätherbst 2021, schlief Herr Vorwärts bereits seit geraumer Zeit sehr schlecht. Inzwischen hatte er auch fachliche Unzulänglichkeiten im Projekt erkannt, die durch mangelnde Informationsbereitstellung in der Konzeptionsphase verursacht wurden. Versuche, die Linienvorgesetzten der Teammitglieder dazu zu bewegen, sich mit ihm zusammenzusetzen und über die Lösung einiger aufgetretener Probleme zu reden, wurden mit dem Hinweis, dass das Tagesgeschäft vorgehe, abgeblockt.

Durch den inzwischen permanenten Zeitdruck wurde die Qualität der Arbeit zunehmend schlechter. Änderungen und Fehlermeldungen wurden nicht mehr exakt formuliert, Gesprächsprotokolle gab es überhaupt nicht mehr. Entscheidende Vereinbarungen wurden am Telefon oder in Remotesitzungen getroffen. Im Frühjahr 2022 beschloss die Geschäftsführung der SEKURA AG, Herrn Vorwärts die Projektleitung zu entziehen und nun doch einen externen Berater zu engagieren, der die Lage analysieren und Vorschläge unterbreiten sollte, wie das Projekt noch zu retten sei... 

... aber nicht fallen! 

Was war schiefgelaufen? 

  1. In der Geschichte der SEKURA AG wurde die Phase der Projektinitialisierung einfach übersprungen und Herr Vorwärts wurde sprichwörtlich ins kalte Wasser gestoßen.
  2. Die Analysephase wurde dann durch das Softwarehaus gemacht, da Beratungen seitens der SEKURA AG kein Vertrauen mehr geschenkt wurde. Eventuell aufgrund der Nähe zu der CRM-Lösung wurden bei der Konzeption wichtige Stakeholder*innen vergessen und Anforderungen ignoriert. 
  3. Frau Wohlgemut machte als externe Unterstützung schwere Fehler, welche dann im Projektverlauf nicht mehr korrigiert werden konnten. 
  4. Der Projektplanung und Anforderungspriorisierung wurde nicht ausreichend Aufmerksamkeit geschenkt, man arbeitet ja „agil“.
  5. Testmanagement und -durchführung wurden zu spät und lückenhaft angegangen.
  6. Das Team war von Anfang an instabil durch die neuen Entwickler*innen sowie unerwartete Abgänge.
  7. Es gab kein Committment durch die SEKURA AG, was die Priorisierung der verfügbaren Arbeitskapazitäten des Teams angeht.

Jetzt wussten die Verantwortlichen in der SEKURA AG zumindest, was zukünftig auf gar keinen Fall mehr passieren darf. 

Erfolgreiche Transformations-Projekte sind kein Zufall. Ein erfolgreiches Digitalisierungsvorhaben ist gekennzeichnet durch geplantes und strukturiertes Projektvorgehen und basiert auf den Erfahrungen und dem Know-how aller Projektbeteiligten. Die Projektaufgaben in einem Digitalisierungs-Projekt sind in der Regel extrem komplex und erfordern somit funktionsübergreifendes Wissen sowie ein breites Kompetenzspektrum im Team. 

Zusammenfassend bleibt zu sagen: vorausgesetzt Sie haben den/die richtige*n Partner*in an Ihrer Seite und das Thema „Technik“ tritt in den Hintergrund, um der „Organisation“, den „Prozessen“ sowie auch „kulturellen Anforderungen“ Platz zu machen, wird auch eine Digitale Transformation zu meistern sein. Transformationsprojekte sind und bleiben ein Prozess- und Organisationsthema.  

Autor

  • Christoph Tylla

    Christoph Tylla ist seit 2006 bei der Pentadoc AG tätig und verantwortet als Partner den Consulting-Bereich "Technologie & Prozesse". Als Berater begleitete er bereits zahlreiche Unternehmen bei der Analyse, Konzeption und Durchführung von Digitalisierungsprojekten. Aktuell widmet er sich stark dem Beratungsfeld der Kundenzentrierten Prozessoptimierung.

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