KI-Wahnsinn in der Versicherungswirtschaft

KI-Wahnsinn in der Versicherungswirtschaft – warum derzeit viele Ideen gesammelt, aber nur wenige auf die Straße gebracht werden

Künstliche Intelligenz (KI) hat nicht nur Einzug in die Versicherungswirtschaft erhalten, sondern dominiert derzeit die Planungen vieler Versicherungskonzerne. Zurecht, denn sowohl im Bereich der diskriminativen sowie der generativen KI zeichnen sich Potenziale ab, welche die Versicherungswirtschaft in ihren Effizienzwerten grundlegend verändern werden. Laut der Studie „State of AI in Financial Services: 2023 Trends“ erwarten die Hälfte der Umfrageteilnehmer, dass die Technologie dazu beitragen wird, den Jahresumsatz um mindestens zehn Prozent zu steigern. Mehr als ein Drittel gab an, dass KI auch helfen wird, die jährlichen Kosten um zehn Prozent zu senken. Es ist zu erwarten, dass der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) wesentlichen Einfluss auf die Positionierung von Versicherungsunternehmen am Markt nehmen wird, wonach es nachvollziehbar und vielversprechend erscheint, als einer der First Mover konkrete KI-Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Kritisch beobachten wir im Austausch mit Versicherungen und Umsetzungspartner jedoch, mit welcher Willkür und kaum durchdachten Konzepten viele Versicherungsunternehmen sich derzeit dem Thema annehmen.

Dabei erscheinen drei wesentliche Orientierungspunkte bzw. Fragestellungen schnell identifiziert:
Wie kann Künstliche Intelligenz...

  • ...die Dunkelverarbeitungsquote erhöhen,
  • ...die Effizienz in der Hellverarbeitung steigern sowie
  • ...einen positiven Beitrag zu besserem Kundenservice bzw. höherer Kundenzufriedenheit liefern?.

„Der Ansatz von KI ermöglicht unabhängig vom Host eine nachhaltige Entwicklung und das Potenzial, alle allgemeinen Geschäftsvorfälle im Bereich KV Leistung automatisiert zu verarbeiten.“

Christian Foerster, Product Owner in der Squad Optimierung Krankenprozesse, SIGNAL IDUNA

.

Fokus Dunkelverarbeitung:

Ansätze zur Dunkelverarbeitung gelten als Standard in der Branche und sind in Sparten, wie der Krankenversicherung, bereits hoch ausgeprägt. Im Kreise der führenden Versicherer werden bereits über 50 % der Standardanliegen dunkel verarbeitet. Die klassische Dunkelverarbeitung basiert hierbei auf sehr großen statischen Regelwerken, die auf Basis strukturierter Daten eine automatisierte Verarbeitung anstreben. Die Verfahren erreichen in vielen Prozessen einen hohen Reifegrad, der jedoch zunehmend zeigt, dass mit derart konventionellen Verfahren nur noch sehr begrenzte Steigerungen möglich sein werden. KI-Modelle hingegen scheinen den Potenzialbereich nochmals deutlich zu erhöhen. Insbesondere geht die Verarbeitung großer Datenmengen sowie unstrukturierter Daten deutlich über die derzeitigen Möglichkeiten hinaus und ermöglichen umfangreichere Dunkelverarbeitungsprozesse. Somit können auch vermehrt Prozesse, die bislang zur manuellen Sachbearbeitung aus der Dunkelverarbeitung ausgesteuert werden, durch KI-Modelle in Form einer maschinellen fachlichen Bearbeitung wieder aufgenommen werden.

Fokus Hellverarbeitung:

Trotz der Potenziale zur deutlichen Steigerung der Dunkelverarbeitung, wird es auch weiterhin die klassische Hellverarbeitung geben. Doch auch hier zeichnen sich deutliche Effizienzsteigerungen durch den Einsatz von KI ab. Die ersten, von uns praxiserprobten Anwendungsfälle, zielen auf zwei Szenarien ab:

  1. Vorgänge, die aus der Dunkelverarbeitung ausgesteuert werden und nicht vollständig systemseitig verarbeitet werden konnten, werden den Sachbearbeitern im Kernsystem mit erweiterten Daten und einer KI-Bearbeitungshistorie dargestellt. Denn in der Regel wurden dem KI-Modell zur angestrebten Dunkelverarbeitung bereits eine Vielzahl an Daten übergeben. Mit einer Zusammenfassung, welche Daten bereits aufbereitet wurden und in welcher Bearbeitungsinstanz das KI-Modell kein Ergebnis erzielen konnte, können Sachbearbeitern einige Zeit in der Einschätzung des Vorgangs und der manuellen Bearbeitung sparen.
  2. Durch den Einsatz von generativer KI lassen sich besonders Sachbearbeitungsvorgänge optimieren, die (bspw. bei umfangreichen Gutachten) eine hohe Zeit zur inhaltlichen Erschließung von Dokumenten und der darauffolgenden Korrespondenzerstellung sowie Datenpflege im Fachsystem erfordern. Hier können KI-Modelle einen Beitrag zur Zeiteinsparung sowie auch einer Qualitätssteigerung in der Vorgangsbearbeitung leisten.

Letztlich nehmen die dargestellten Beispiele der Dunkel- und Hellverarbeitung auch unmittelbaren Einfluss auf die Bearbeitungszeit und – Qualität, was wiederum auf Bemühungen im Bereich Kundenzufriedenheit einzahlt.

.

Doch warum sind bei so vielen Potenzialen derzeit noch so wenige Projekte erfolgreich umgesetzt?

In unseren Beratungsmandaten begegnen uns mehrere Aspekte, aus denen ich zwei wesentliche herausstellen will:

  1. Falscher Projektansatz: Einen Fachprozess mittels KI zu optimieren, ist kein reines IT-Projekt, sondern zuallererst ein Prozessvorhaben. In der Praxis erleben wir aktuell sehr häufig, dass eine Vielzahl an Optimierungsideen auf Überschriftenebene gesammelt und KI-Entwicklern häufig nur rudimentär beschrieben „über den Zaun geworfen“ werden. Die Quote an KI-Modellen, die wirklich den erhofften Nutzen bringen und es in Produktion schaffen, ist gering.

    In unserem nächsten Blog-Beitrag dieser Reihe stelle ich Ihnen dar, wie ein KI-Projekt aus unserer Sicht umgesetzt werden sollte, sodass aus einem vorab definierten Nutzen auch ein produktives Modell wird.

  2. Zu kurz gedachte Implementierungsansätze: KI-/Cloud-Technologien treffen in den meisten Versicherungsunternehmen auf monolithische, häufig noch Host-basierte, Systemstrukturen. Natürlich entwickeln IT-Architekten Konzepte, in denen der Datenaustausch zwischen KI-Services und bestehenden Fachapplikationen möglich wird. Häufig wird hierbei jedoch lediglich ein Ansatz gesucht, wie aus dem technischen und prozessualen IST heraus die Anbindung von KI-Services erreicht wird. Dabei sind die Fragestellungen zur Erreichung einer langfristig effizienten Lösung anders gelagert: Wie interagiert ein KI-Modell prozessual sinnvoll mit der bestehenden Dunkelverarbeitungsstrecke des Kernsystems? Ist die aktuell betriebene Form der Fachdatenbeschaffung nach wie vor zielführend?

    In unserem übernächsten Blog-Beitrag dieser Reihe stellen wir sinnvolle Integrationsansätze, unter anderem in Form der „additiven Dunkelverarbeitung“, aus unserer Beratungspraxis vor.

Die Bemühungen in Richtung fachlicher KI-Services ist vielversprechend und wichtig. Sie muss jedoch strukturiert und mit dem Verständnis angegangen werden, dass es mehr als ein reines IT-Entwicklungsprojekt ist.

Auf den Versicherungsforen Leipzig (06.02.2024 – 07.02.2024) berichten wir mit unserem Kunden, der SIGNAL IDUNA, über umgesetzte KI-Modelle zur Optimierung der KV-Leistungsprozesse.
Hier gehts zur Veranstaltung :
versicherungsforen.net/veranstaltungen/fachkonferenz-dunkelverarbeitung-workflowunterstuetzung-2024

Autor

  • Christoph Tylla

    Christoph Tylla ist seit 2006 bei der Pentadoc AG tätig und verantwortet als Partner den Consulting-Bereich "Technologie & Prozesse". Als Berater begleitete er bereits zahlreiche Unternehmen bei der Analyse, Konzeption und Durchführung von Digitalisierungsprojekten. Aktuell widmet er sich stark dem Beratungsfeld der Kundenzentrierten Prozessoptimierung.

    Alle Beiträge ansehen